Ruedi Walter als «wildgewordener Kleinbürger»

Ruedi Walters Biografie wird hier mit fortschreitender Recherche laufend vervollständigt; zum Teil mit Buchauszügen, zum Teil mit knappen Zusammenfassungen dessen, was im Buch ausführlichen Platz findet. Einzelne Kapitel aus dem Buch veröffentliche ich jeweils als Leseproben unter der Navigation Das Buch. Wer den Newsletter abonniert, bleibt bezüglich der Neuzugänge auf dieser Website laufend informiert.

Jugend in Basel: Auf dem Weg zum  Kaufmann mit Hobbies

«Nach erfolgter Geburt vor einigen Jahren in Solothurn (Schweiz) wurde ich während mindestens 12 Monaten dazu angehalten, hauptsächlich Milch zu trinken, was zur Folge hatte, dass ich nachher noch viele Jahre lang Vollabstinent blieb. Geburtstags-Geschenke werden übrigens jeweils am 10. Dezember mit Dank entgegengenommen.

Eines wüsten Tages kamen meine Eltern auf die Idee, mich zur Schule zu schicken. Ich war dazu völlig ungeeignet, denn ich musste am nächsten Tag nochmals hin. Und am übernächsten. Ja – man behielt mich 12 Jahre, worauf ich – reif für verschiedene tägliche Arbeiten der kaufmännischen Branche – entlassen wurde.
Infolge Mangel an Abwechslung und Möglichkeit zu Auslandsbesuchen, wurden während des Krieges die Hobbys (eigentlich Hobbies geschrieben) grosse Mode. Ich wählte zum Entsetzen meiner Verwandtschaft als Hobby das Konservatorium zu Basel, wo Gustav Hartung eine Schauspielschule eröffnet hatte und wurde so mir selbst gegenüber wortbrüchig, denn ich hatte mir geschworen, nie mehr auf eine Schulbank zu sitzen. (Aber ein Wortbruch ist immer noch besser als ein Schiffbruch.)»

Nein, Schiffbruch erlitten hat Ruedi Walter mit seiner Karriere in der Tat nicht. Und auch der in seiner augenzwinkernden Kurzbiografie «Von und über Ruedi Walter» angesprochene Wortbruch gegenüber den eigenen Vorsätzen ist bezeichnend für seinen Lebenslauf, der immer wieder überraschende Wendungen nahm. Wie viel von seinem Schauspieltalent er schon mit der Muttermilch eingesogen hatte, bleibe dahingestellt – in die Wiege gelegt wurde ihm die Künstlerkarriere jedenfalls nicht: Er wurde am 10. Dezember 1916 als Rudolf Haefeli in ein gutbürgerliches Elternhaus geboren. Der Vater Rudolf war ein solider Kaufmann, die Mutter Pauline, geborene Furter, besorgte den Haushalt.
Beide Eltern waren Aargauer: Der Vater war Bürger von Seengen, die Mutter in Schafisheim aufgewachsen, wo Ruedi oft bei seinen Grosseltern in den Ferien weilte. Ob der dabei wirklich einmal fast in einem «Güllenloch» ertrunken war, wie das der «Sonntagsblick» in einem Nachruf wissen wollte, können wir nicht mehr eruieren. Dass er dort auch gerne mal auf dem hohen Ross sass, ist dagegen fotografisch (siehe Bildgalerien) dokumentiert. In Schafisheim hatte er auch seine ersten Begegnungen mit dem Theater. Seine beiden Onkel betrieben dort eine Metzgerei und ein Restaurant mit angebauter Bühne. Von den dortigen Aufführungen des lokalen Laientheaters hatte Ruedi seine ersten Theatereindrücke mitgenommen.
1921 zog die Familie von Solothurn nach Basel an den Spalenring 68. Den Basler Dialekt habe er sehr rasch angenommen, erinnert sich Ruedi Walter später. Schon nach zwei Monaten habe er aus dem Fenster gerufen: «Albärtli, i kum nimmi abe!» Mit den Eltern pflegte er jedoch weiterhin – und bis an deren Lebensende – den Aargauer Dialekt. Ruedi Walter sprach also muttersprachlich «aargauisch» – er, der später mit seinem Baseldytsch über das Radio die Schweizer Stuben erobern sollte, der als Heiri aus Hausen am Albis in der kleinen Niederdorfoper Erfolge feierte und in Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen ebenso authentisch den Berner Bauern mimte! Diese sprachliche Flexibilität und Wandlungsfähigkeit scheint in dieser «Diglossie» ihre frühen Wurzeln zu haben.
In Basel durchlief Ruedi Walter nun also die zwölfjährige Schulzeit von der Primarschule über das Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium und die Kantonale Handelsschule bis zur Handels­matura. Dies sicherlich ganz im Sinne seines Vaters, der am nahegelegenen Ahornweg 4 die Basler Handelsvertretung (damals «Platzvertretung») für Maggi-Produkte innehatte.

Verwandlungsfähig zwischen Goalie, Velofahrer und Flanell-Gentleman

Ruedi Walter hatte ein sehr enges Verhältnis zu seiner sechs Jahre jüngeren Schwester Gertrud («Trudy»). Aus ihren Berichten wissen wir einiges über Ruedis Jugendzeit: Sie beschreibt sich selber als sehr lebhaftes und egoistisches Kind, so dass Ruedi ziemlich gefordert war, wenn er als Babysitter amtete:
«Wenn meine Eltern ausgehen wollten, da konnte ich zetermordio schreien. Ruedi beruhigte mich dann immer: ‹Komm, lass sie doch mal gehen. Ich bin ja da! Ich spiel mit dir, wir kochen zusammen.› So machten wir uns hinter die Puppenküche, und es wurden so herrliche Abende.»
Sonntags begleitete Trudy ihren Vater auf die Old-Boys-Matte, wo Ruedi Handballgoalie beim Sportclub Rot-Weiss war. Nicht ohne Stolz konnte sie hier Komplimente für die guten Leistungen ihres Bruders einheimsen.
Auch mit seinem Freund Adolf Bauer, der mit ihm zwölf Jahre lang die gleiche Schulbank drückte, war Ruedi sportlich unterwegs – auf ausgedehnten Velotouren. Wenn die Kräfte und der sportliche Ehrgeiz nachliessen, hängten sie sich auch mal an einen Lastwagen an, wobei sie bei der Auffahrt zur Schwägalp prompt von einem grimmigen Polizisten gebüsst wurden. Die beiden zeigten sich auf ihren Velotouren verwandlungsfähig und überraschten damit ihr «Publikum». So, als ihnen – wie Adolf Bauer berichtet – der Portier einer Pension angesichts ihrer Velos und der verschwitzen Hemden erklärte, Zimmer hätten sie schon, aber diese seien zu teuer für sie. «Sein Gesicht werden wir nie vergessen, als wir eine Stunde später in unseren eleganten hellen Flanellanzügen wieder die Treppe herunterkamen, um eine junge Baslerin in ihrer Pension zu besuchen, mit hochoffizieller Erlaubnis ihrer Eltern, wohlverstanden.»
Mit Adolf war Ruedi regelmässig im Kino – heimlich: «Gemeinsam und heimlich gingen Ruedi und ich ins Kino. Ich glaube zwar nicht, dass es uns wirklich verboten war, doch trauten wir wohl der Sache nicht allzusehr und wollten sicher auch Fragen nach den Aufgaben vermeiden. So war ich denn jeweils offiziell bei ihm und er bei mir zu Hause, was durch die Abwesenheit eines Telefonapparates bei uns erleichtert wurde. Wir bewunderten zusammen Schauspieler wie Fritz Schulz, Willi Forst oder Ruedis Schwarm Renate Müller. Bestimmt hat damals keiner von uns gedacht, dass man einmal auch Ruedi auf der Leinwand werde sehen können.»

Laientheater von Tell bis Torero

Neben dem Kino gehörte auch das Theater zu Ruedis Leidenschaften. Ob er auch da einen heimlichen Schwarm hatte, wissen wir nicht. Begleitet hat ihn sehr oft seine Schwester, die er mit seinem Taschengeld mindestens einmal pro Monat in die Volksvorstellungen des Basler Stadttheaters einlud: «Manchmal war's eine Oper, meistens eine Operette, und für 55 Rappen sassen wir im Juche. Das waren wundervolle Nachmittage. Sie weckten in mir den Wunsch, Schauspielerin zu werden.» Dieses durch ihn selbst genährte Berufsziel seiner Schwester sollte später Ruedi Walters Lebensweg entscheidend prägen. Sie war es, die ihn zum Schauspielunterricht «mitschleppte». So haben sich die beiden in Sachen Schauspiel und Theater gegenseitig befruchtet und motiviert.
Auch sein Schulfreund Adolf teilte mit ihm die Theaterbegeisterung. In der zweiten Klasse des Gymnasiums wirkten beide in einer Schüleraufführung des Wilhelm Tell mit. Adolf Bauer erinnert sich, dass dabei nicht er als überheblicher Gessler die Komplimente des Lehrers einstrich, sondern Ruedi in einer an und für sich bescheidenen Nebenrolle. Wie sich ein anderer Mitschüler erinnert, zeigte Ruedi auch sonst sein Talent, indem er in den Pausen die Lehrer blendend persiflierte. Für einen Schulbesuchstag verfasste Ruedi ein eigenes Theaterstück: Kalif Storch – Spiel in drei Akten. Die Rolle des Kalifen überliess er einem Mitschüler, er selbst spielte dessen Grossvater. Und auch ein Souffleur war mit von der Partie – schon alles wie richtig!
Mit der Zeit wurden die Theater-Projekte immer ambitiöser. Auch hierzu verdanken wir den Erinnerungen Adolf Bauers viele Details:
«An unserem Reiseziel, in Cannero am Lago Maggiore, begannen wir dann unsere erste gemeinsame ‹Theaterproduktion› für den Abschlussabend, für die ich die Texte schrieb, während Ruedi die Musik komponierte und die Chansons vertonte. Auf einem verstimmten Klavier, wie er mir erklärte, was ich mangels Musikgehör nicht beurteilen konnte.
Das Sujet unseres Stückes war – 1934 eine Zukunftsvision! – eine Fernsehreportage über eine Klasse der Handelsschule, während der Schule, in der Freizeit und auf der Maturreise an die Riviera, immer mit der Bühne als Bildschirm. Mit seinem Ständchen ‹O du holde Maid da drinnen› erntete der Hauptdarsteller – natürlich Ruedi – schon damals einen riesigen Lacherfolg, wohl den ersten seiner Karriere. Ein pikantes Detail: Der Sprecher unserer ‹Fernsehsendung› war unser Klassenkamerad Paul Emil Spahn.
Unsere zweite und gleichzeitig letzte gemeinsame Produktion war eine Folge von Sketchs anlässlich eines Bunten Abends der damals bekannten ‹Radiokameraden›. Auf der Bühne des Gundeldingercasinos spielten wir zwei ungleiche Freunde, die gemeinsam verschiedene Erlebnisse haben. In der Eingangsszene – einem Filmplagiat – wollte ich mir aus Liebeskummer das Leben nehmen.
Ruedi versuchte zuerst, mich mit Vernunftgründen von meinem Vorhaben abzubringen, aber vergeblich. Dann wechselte er die Taktik, fand, ich hätte eigentlich recht, und veranlasste mich, ihm vor meinem Tod noch den wertvollen Perserteppich zu schenken, der ja doch beschmutzt würde. Auch andere teure Stücke würden mir auf meiner Reise ins Jenseits ja doch nichts nützen, und schliesslich habe er mehr von meiner vollen Brieftasche als ich. Ruedi spielte den Listigen so brillant, dass er nicht nur mich zum Weiterleben, sondern auch das Publikum zum Schmunzeln und Lachen brachte.
Ein Riesenheiterkeitserfolg war jedoch die Schlussszene, in der er, nach einem unrühmlichen Zusammenstoss mit einer Kuh auf einer Alp, in der darauffolgenden Nacht im Traum als Torero zur Carmen-Musik einen grossartigen Stierkampfsieg errang. Noch viele Jahre später erzählte mir eine Nichte des Malers Hodler mit Begeisterung von dieser stumm gemimten Szene.»

Lieber Paris und London statt Unteroffizier

Nach der Handelsmatur trat Ruedi Walter eine Praktikantenlehre bei der Firma Bopp & Co an, die Bäckerei- und Konditoreibedarf anbot. 1936, im zweiten Lehrjahr, absolvierte er die Rekrutenschule mit einer Basler Einheit in Luzern. Der Umstand, dass sein Lehrbetrieb während der Rekrutenschule in Konkurs ging, gab ihm die Freiheit, der drohenden Beförderung zum Unteroffizier mit dem Zwang zum Abverdienen durch einen Auslandaufenthalt zu entgehen. Er entschied sich für einen Studienaufenthalt an der Sorbonne in Paris, wo 1937 die Weltausstellung stattfand; ein willkommener Anlass für ein Treffen der ganzen Familie. Dazu seine Schwester:
«Mein Vater bestand auf einem regelrechten Programm mit der Weltausstellung, dem Louvre, Versailles und all den andern Sehenswürdigkeiten. Also marschierten wir den ganzen Tag durch die verschiedensten Stadtteile und sahen uns diese Pracht an.
Wenn die Eltern dann abends todmüde ins Bett sanken, flüsterte mir Ruedi zu: ‹Mach dich schnell bereit! Wir gehen wieder.› Und auf leisen Socken, die Schuhe in der Hand, schlichen wir uns hinaus. So schlenderten wir durchs nächtliche Paris: St.-Germain-des-Près, Montmartre usw. Mein Bruder führte mich an Orte, die mein Vater mir nicht gezeigt hätte. Ich genoss es ungeheuer, und es machte mir nichts aus, um vier Uhr ins Bett zu gehen und um sieben Uhr aufzustehen. Nur vom Louvre habe ich nicht viel mitbekommen ... »
Noch während sein Sohn in Paris weilt, macht sich Vater Haefeli daran, als nächste Station einen Aufenthalt in London aufzugleisen. Er lässt dafür seine Beziehungen zu einem Herrn Berger im renommierten Teehaus Twining Crossfiels & Co. Ltd. spielen, der seiner Meinung nach wusste, worauf es im harten Geschäftsleben ankommt. «Für einen tüchtigen Kaufmann sind Sprachkenntnisse von grösster Wichtigkeit, vielfach von ausschlaggebender Bedeutung. Sie, (...) als erfahrener und weitgereister Geschäftsmann, kennen diese Verhältnisse aus eigener Erfahrung, denn aus Ihren Schilderungen (...) konnte ich entnehmen, dass Sie das Leben schon in allen Nuancen auskosten mussten. Sie sind denn auch am besten in der Lage, den Bestrebungen eines jungen Mannes das richtige Verständnis entgenzubringen.»
In der diesbezüglichen Korrespondenz mit Ruedi vergisst der Vater nicht, darauf hinzuweisen, dass es gute Fleischbrüh-Produkte auch in Paris gibt. «Kauf Dir nur einmal paar Poule au Pot, sie stammen von der dortigen Maggi-Fabrik.»
So geht es dann nach einem kurzen Abstecher in die Schweiz – unter anderem über Neujahr 1937/38 auf den Stoos – weiter nach London, wo Ruedi Walter neben seiner Volontärstelle auch das Polytechnikum besucht. In einem wunderbaren, 1964 aufgenommenen Sketch, sehen wir ihn auf seinen wichtigsten Lebensstationen, so auch mit «Schirm, Charme und Melone» in London.
Rückblickend bezeichnete Ruedi Walter diese Auslandaufenthalte als sehr reiche Zeit: Er konnte sich weiterbilden und nahm mit regelmässigen Konzert- und Theaterbesuchen auch aktiv am kulturellen Leben dieser zwei Weltstädte teil. Offensichtlich verfolgte er in London auch Politik und Zeitgeschehen sehr aufmerksam. «Ich habe gemerkt, dass es Krieg gibt, als Chamberlain von München zurückgekehrt war von seiner Unterredung mit Hitler», so erinnerte er sich später in einem Interview. Anfang 1939 schien ihm dann eine Rückkehr in die Schweiz opportun «weil ich der ganzen Geschichte nicht mehr ganz traute. Die Fröntler wurden immer aufdringlicher, und wir wussten ganz genau, dass die Gerüchte, die wir hörten, wahr waren.» In diesen kritischen Zeiten wollte er bei seiner Familie in der Schweiz sein und zurückkehren, solange es möglich war: «Ich liebte meine Eltern– meine Mama hat mich gebraucht – man konnte nie zu lange ohne einander sein.»

Kurzes Gastspiel bei Maggi in Kempttal

Und wieder ist es Vater Haefeli, der die Fäden zieht. Er vermittelt ihm eine Stelle bei seinem eigenen Arbeitgeber, der Maggi Nährmittelwerke AG in Kempttal. Für die Lohnverhandlungen gibt er dem Sohn mit auf den Weg, mindestens 250 Franken pro Monat zu fordern: «Weiter nach unten zu gehen, hätte m.E. keinen Zweck, denn du solltest doch so viel verdienen, dass du wenigstens Kost und Logie bezahlen kannst. Du bist natürlich am besten in der Lage, den Wert Deiner Arbeitskraft richtig einzuschätzen, aber allzu billig darf man sich nicht verkaufen.» Ein väterlicher Rat, den Ruedi sicher auch auf seiner Bühnenlaufbahn im Hinterkopf behalten durfte.
Offenbar waren die Lohnverhandlungen erfolgreich und Ruedi konnte in die Werbeabteilung der Maggi Nährmittelwerke AG eintreten. Damit sollte er gleich doppelt in guter Gesellschaft sein – nicht nur familiär, sondern auch in der Theaterwelt: Der Dramatiker Frank Wedekind war in den 1880er-Jahren kurzzeitig Chef der Werbeabteilung von Maggi und Charles Ferdinand Vaucher, mit dem Ruedi Walter schon bald beim Cabaret Kaktus zusammenarbeiten sollte, tingelte in den 1950er-Jahren – von Geldsorgen getrieben – im Auftrag von Maggi mit «Bunten Abenden» als «Suppenkoch» durch die Schweiz.
Das Maggi-Engagement in Kempttal führte ihn auch an die Landesausstellung in Zürich, dauerte jedoch insgesamt nicht lange, denn schon bald traf des Befürchtete ein: Der Krieg. Ruedi Walter erhielt per Militärpostkarte den Befehl, per 11. März 1940 einzurücken. Bis März 1941 leistete er 350 Aktivdiensttage. Wie seinem Gesuch um Einbürgerung in der Stadt Basel zu entnehmen ist, wurde er im März 1941 «vor U.C. in Luzern wegen einer Herzstörung, hervorgerufen durch die T.P.T. Impfung und Überanstrengung im Manöverdienst der ersten Februartage, zunächst für 2 Monate dispensiert und hernach in die H.D. Bew. Kp. 2 BS umgeteilt.» Das schwache Herz sollte sein Leben wortwörtlich bis in den verfrühten Tod begleiten.
Beruflich übernahm er jetzt zwischen den Hilfsdienst-Einsätzen die Büroleitung des Maggi-Depots in Basel und wohnt wieder im Elternhaus am Spalenring 68.

Prägende Meisterklasse bei Gustav Hartung

Unter diesem Titel gehe ich im Buch ausführlich auf Ruedi Walters Schausspielausbildung bei dieser marakanten Persönlichkeit ein. Gustav Hartung war gleich nach Hitlers Machtübernahme nach Basel immigriert. Er nahm bezüglich Kritik am Nazi-Regime kein Blatt vor den Mund. In einem Brief an Heinrich George, den die Nationalsozialisten zum Star ihrer Heidelberger Festspiele gemacht hatten, sprach Hartung Klartext: «Wer sich vor Mördern verbeugt, wird selbst zum Mörder.» Heinrich George unterbreitete das Schreiben pflichtbewusst Reichspropagandaminister Goebbels. Darauf diktierte Goebbels Heinrich George die Antwort: «Wenn Sie zurückkommen, werden Sie nicht eingesperrt – Sie werden gevierteilt.»
Ruedi Walter führte in Hartungs Meisterklasse ein Notizbuch, das in der «Sammlung Irène Walter» erhalten ist und das – wie dieses Kapitel des Buches zeigt – bezüglich der Entwicklung des schauspielerischen Credos Ruedi Walters sehr aufschlussreich ist.

Das Theater gewinnt Oberhand:
Aus Rudolf Haefeli wird Rudolf (Ruedi) Walter


Allen voran Rudolf Haefeli ...

Dieses Kapitel geht auf die ersten Bühnenauftritte Ruedi Walters ein, mit denen er schon in ersten Theaterkritiken in den Zeitungen auffiel  – natürlich noch als Rudolf Haefeli. Von diesen Auftritten in den Jahren 1942 und 1943 sind in der «Sammlung Irène Walter» erste Bilder überliefert, die im Buch ihren gebührenden Platz finden.

Für die Freiheit – gegen das Stadttheater

Für ein festes Engagement am Basler Stadttheater, wo er unter Oskar Wälterlin schon kleinere Rollen hatte, konnte sich Ruedi Walter – wie dieses Kapitel – zeigt nicht begeistern. Im Gegenteil: In einem im Buch per QR-Code erschlossenen Interview erzählt Ruedi Walter rückblickend, wie er die «verbeamteten» Schauspieler als Schnorrer und Intriganten erlebte. Als er jedoch erfährt, dass Alfred Rasser in Basel ein eigenes Cabaret eröffnen will, ist er Feuer und Flamme und bewirbt sich erfolgreich.

Hart am Puls der Zeit

Dieses Kapitel des Buches geht detailliert auf das erste Programm des Cabaret «Kaktus» vom Oktober 1943 ein. Hier sprachen die Texte von Alfred Rasser und Regisseur C.F. Vaucher hart am Puls der Zeit so stark Klarext über die Gräueltaten der Nazi jenseits der Grenze, dass die Schweizer Zensur sich auf starken Druck Nazideutschlands veranlasst sah, einzuschreiten.
Ruedi Walter hatte hier mit «Wortstrategie» eine Solonummer, die von der Kritik sehr positiv aufgenommen wurde. Auch dazu birgt die «Sammlung Irène Walter» viele Archivperlen wie das Programmheft mit Ruedi Walters Notizen für die Ansage sowie zahlreiche Fotos. Auch Alfred Rasser als erfahrenem «Lehrmeister» des jungen Rudolf Walter (unter diesem Künstlernamen tritt er jetzt auf) ist im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet.

Das zweite Programm: Treffliche neue Stacheln

«Halt auf Verlangen» so hiess das zweite Programm des Kaktus, in dem dieses Cabaret seinen Stacheln treu blieb. Auch dazu finden sich in der «Sammlung Irène Walter» Fotos und Zeitungsausschnitte, welche Eingang in das Buch finden. Besonders gelobt wurde Ruedi Walter in diesem Programm für seine Solonummer als «Knax»: Vor einem Heldendenkmal sinniert Ruedi Walter als Max Biderli über sich und die Welt: Er hätte grosse Ideen, für die er mutig aufs geistige Schlachtfeld reiten wurde. Doch eben, da ist eine furchtbare Hemmung, ein seelischer Knax – ein Leiden, dass ihn im Reden behindert. Dabei nimmt er auch die Zensur und die von heuchlerischer Feigheit geprägten Reden von Vertretern der offiziellen Schweiz mit aufs Korn.

C.F. Vaucher als Mentor

Neben Alfred Rasser war Charles Ferdinand Vaucher als Texter und Regisseur die zweite tragende Figur beim Cabaret «Kaktus». Und er dürfte – vielleicht noch entscheidender als Alfred Rasser – den jungen Ruedi Walter als Schauspieler mit geformt haben. Ein in der Sammlung Irène Walter erhaltener Brief zeigt ihn als eigentlichen Mentor des jungen Ruedi. Und er hat seinen «Zögling» später in einem Essay ganz prägnant charakteriesiert. Mehr dazu im Blog-Beitrag Ruedi Walter als «wildgewordener Kleinbürger».